Das Budapester Memorandum: Warnung für die NATO
Symbolbild: Budapester MemorandumVor dreißig Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, stand die Welt vor einer historischen Chance: der Reduktion nuklearer Arsenale. Im Zuge dieser globalen Abrüstungsbemühungen entschied sich die Ukraine, ihre etwa 1.000 nuklearen Sprengköpfe, ein Erbe der Sowjetunion, aufzugeben und an Russland zu übergeben. Dieser Schritt war mehr als eine symbolische Geste; er bedeutete den Verzicht auf eines der größten Atomwaffenarsenale der Welt. Im Gegenzug erhielt die Ukraine Sicherheitsgarantien durch das Budapester Memorandum, unterzeichnet 1994 von Russland, den USA und Großbritannien. In diesem Dokument versprachen die Unterzeichnerstaaten, die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine zu achten, Gewalt gegen sie zu unterlassen und ihre Unabhängigkeit zu respektieren.
Doch seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Jahr 2014, beginnend mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, und insbesondere seit der großangelegten Invasion 2022, zeigt sich, dass das Budapester Memorandum nichts weiter als ein Papiertiger war. Russland, einer der Garantiestaaten, hat die Ukraine nicht nur angegriffen, sondern auch versucht, ihren Staat zu zerstören. Die anderen Unterzeichnerstaaten, insbesondere die USA und Großbritannien, haben zwar politische und militärische Unterstützung geleistet, doch die Ukraine steht weitgehend allein im direkten Kampf gegen einen imperialistischen Aggressor.
Dieses Versagen multilateraler Sicherheitsgarantien wirft eine tiefgreifende Frage auf: Wenn das Budapester Memorandum nicht in der Lage war, die Ukraine vor russischer Aggression zu schützen, ist dann die NATO – das Fundament der kollektiven Sicherheit in Europa – ebenfalls nur ein Papiertiger? Die Angst vor Russland, die heute in Europa spürbar ist, stellt die Entschlossenheit der NATO-Mitglieder auf die Probe. Die Eskalation der Gewalt in der Ukraine hat gezeigt, wie groß die Bedrohung durch ein revanchistisches und imperialistisches Russland ist. Doch gleichzeitig sind Zweifel daran gewachsen, ob die Allianz tatsächlich geschlossen handeln würde, wenn ein NATO-Mitgliedsland Ziel eines russischen Angriffs wird.
Die NATO basiert auf dem Prinzip der kollektiven Verteidigung, festgeschrieben in Artikel 5 des Nordatlantikvertrags. Dieser Artikel besagt, dass ein Angriff auf ein Mitglied als Angriff auf alle betrachtet wird. Doch Worte allein reichen nicht aus, um Abschreckung zu gewährleisten. Die Solidarität innerhalb der NATO wird durch divergierende Interessen und Ängste untergraben. Einige Mitglieder, insbesondere die östlichen Staaten wie Polen oder die baltischen Länder, sehen die russische Bedrohung als existenziell an und drängen auf eine harte Linie. Andere, vor allem in Westeuropa, scheinen zurückhaltender, aus Angst, einen direkten Konflikt mit Russland zu riskieren. Diese Uneinigkeit ist ein potenzieller Schwachpunkt, den Russland auszunutzen versucht.
Die Angst vor einem russischen Überfall ist in der Ukraine und in NATO-Ländern wie Polen oder Estland tatsächlich vergleichbar. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Während die Ukraine keine Garantie durch ein militärisches Bündnis genießt, sind NATO-Mitglieder durch den Beistandspakt abgesichert. Diese Abschreckung hat bislang verhindert, dass Russland einen direkten Angriff auf ein NATO-Land wagt. Doch Abschreckung funktioniert nur, wenn sie glaubwürdig ist. Ein zögerliches Verhalten der NATO könnte Moskau ermutigen, die Entschlossenheit des Bündnisses zu testen – sei es durch hybride Angriffe, Provokationen an den Grenzen oder gezielte militärische Operationen.
Die Lektion aus dem Budapester Memorandum ist eindeutig: Sicherheitsgarantien, die nicht mit einer klaren Bereitschaft zur Verteidigung einhergehen, sind wertlos. Die NATO muss aus diesen Fehlern lernen und ihre Glaubwürdigkeit stärken. Dazu gehört nicht nur eine verstärkte militärische Präsenz in Osteuropa, sondern auch eine einheitliche politische Haltung, die unmissverständlich signalisiert, dass jeder Angriff auf ein Mitgliedstaat eine sofortige und entschlossene Reaktion zur Folge hätte. Gleichzeitig muss die Unterstützung für die Ukraine verstärkt werden. Der Kampf der Ukraine ist nicht nur ihr eigener; er ist ein Kampf für die Prinzipien von Freiheit, Demokratie und der internationalen Ordnung.
Die Frage, ob die NATO ein Papiertiger ist, wird letztlich von den Handlungen ihrer Mitglieder beantwortet. Wenn das Bündnis nicht in der Lage ist, sowohl seine Mitglieder als auch demokratische Partner wie die Ukraine zu schützen, wird es seine Existenzberechtigung verlieren. Die Zeit des Zögerns ist vorbei. Der Westen muss seine Angst vor Russland überwinden und Stärke zeigen, nicht aus Provokation, sondern aus Überzeugung, dass Demokratie und Freiheit verteidigt werden müssen – gegen jeden Aggressor, in jedem Winkel Europas.
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