Wer mir aufmerksam folgt, hat vielleicht schon mitbekommen, dass ich Angehörige einer Person mit #Behinderung bin. Darüber habe ich bisher nicht so viel öffentlich gesprochen, weil es ja auch eine andere Person betrifft. Daher habe ich das vage gehalten. Im Mai ist sie verstorben und nun möchte ich etwas offener darüber sprechen: Es war meine Mama und sie war seit meinem 13. Lebensjahr nach einem Unfall #querschnittsgelähmt. #rollstuhl 1/x
Die letzten Wochen habe ich damit verbracht, ihre sehr klug auf Rollstuhl angepasste Wohnung zu vernichten: Schränke, die auf Podesten standen und herausziehbare Bretter hatten, eine Küche mit unterfahrbaren Flächen und herunterfahrbarem Hängeschrank, ein Schreibtisch mit Wandhalterung, damit die Beine nicht im Weg sind, ein maßgefertigtes Sofa mit erhöhter Sitzfläche, damit man vom Rollstuhl übersetzen kann, eine Klimaanlage, weil das Leben bei Hitze im #Rollstuhl noch beschwerlicher wird....all das und noch einige weitere Finessen hätten wir gerne gegen einen Abstand an eine andere Person im Rollstuhl übergeben. Aber es ging nicht. Denn meine Mutter wohnte in einer angeblich behindertenfreundlichen Genossenschaft und die hat sich auf die formaljuristische Position gestellt und verlangt, dass der Nachmieter nur aus den bestehenden Mitgliedern kommen darf.
Die Taz hat darüber berichtet.
https://taz.de/Barrierefreies-Wohnen/!6029734/
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Ich bin so traurig und sauer und abgekämpft. Meine Mutter hat solche Dinge dauernd erlebt aber selten die Kraft gehabt, sich zu wehren. Sie wollte auch nicht, dass ich es tue - obwohl es mich oft in den Fingern gejuckt hat. Aber ehrlich gesagt: Nach dieser Sache sehe ich ein Mal mehr, wie Recht sie hatte. Der TAZ-Artikel ist ok, aber auch er wiederholt das Verschanzen des Vorstands hinter Bürokratismus, ohne es als solchen zu benennen und zu fragen: Wie kann es sein, dass barrierefreier Wohnraum in dieser Weise vernichtet wird? Ja, das Bad bleibt #rollstuhlgerecht. Aber das ist ja nicht das einzige Bedürfnis. Barrierefreie Möbel gibt es nicht von der Stange und ein Gebrauchtmarkt ist auch quasi nicht existent. Man muss jedes Mal höllisch viel Geld investieren, wenn man umzieht. Geld, von dem man hinterher nicht mal ein Zwanzigstel wieder bekommt.
Das kommt in dem Text so nicht rüber. Und selbst wenn: Ändern tut das auch nichts.
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Ich verstehe jetzt noch mal besser, weshalb sich so wenige Menschen mit #Behinderung wehren:
1) Die Behinderung selbst kostet wahnsinnig viel zusätzliche Zeit und Kraft.
2) Man erhält zwar Hilfe, aber alles muss mühsam und kompliziert beantragt werden. Das frisst endlos viel Zeit und Kraft.
3) Was an Kraft und Zeit übrig ist, möchte man lieber zum Leben verwenden. Schöne Sachen machen.
4) Sich wehren, bedeutet, dass man dauernd Leuten Zeugs erklären muss, die keine Ahnung haben und mit lauter klugen Ideen aufwarten, die alle nicht praktikabel sind, aber das nicht verstehen.
5) Wenn man sich doch mal wehrt, wars meistens für die Katz.
Ich will euch mal ein paar Beispiele erzählen:
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Zu 1) Die Behinderung selbst kostet Zeit und Kraft.
Alles dauert länger: Aus dem Haus gehen, Aufstehen, aufs Klo gehen, ins Auto einsteigen usw. Ich nehm mal das Beispiel #Fahrstuhl:
Am Herrmannplatz gibt es einen, der fährt über drei Stockwerke: Oben, Mitte, unten. Wenn man zu Stoßzeiten von der Mittelebene nach oben oder unten möchte, kann man sich auf 45 Minuten Wartezeit einstellen. Denn der Fahrstuhl ist immer voll von Menschen, die auch die Treppe nehmen könnten. Sie steigen oben ein und fahren nach unten. Der Fahrstuhl hält zwar in der Mitte, aber da passt kein #Rollstuhl mehr rein. Und da niemand auf die Idee kommt, Platz zu machen, gehen die Turen zu und der Fahrstuhl fährt nach unten. Wo er sich wieder mit Leuten voll stopft, die nach oben wollen und ebenfalls beim Halt in der Mitte nicht drüber nachdenken, dass die Person im Rollstuhl nicht einfach in den nächsten Fahrstuhl steigen kann. Denn der ist dann ja wieder voll.
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Zu 2) Das Gesundheitssystem hält einen beschäftigt.
Es ist aber nicht nur die #Behinderung selbst, die ganz viel Lebenszeit frisst. Einen Großteil des Lebens verbringt man plötzlich mit Anträgestellen.
(Ihr glaubt ja nicht, wie viele Aktenordner mit Anträgen wir weggeworfen haben!) Es ist nicht unüblich, dass Anträge beim ersten Mal grundsätzlich abgelehnt werden. Was bedeutet, dass für jedes Hilfsmittel auch noch Widerspruch eingelegt werden muss. Und dann muss man sich quartalsweise immer wieder Überweisungen und Rezepte holen. Als könne man davon ausgehen, die Behinderung würde wieder weg gehen.
Man hat gar nicht genug Lebenszeit alles zu beantragen, was einem theoretisch zustünde. Denn in der Zwischenzeit ist wieder die Parkerleichterung abgelaufen und muss wieder neu beantragt werden und das Krankenkärtchen muss zum Arzt gebracht werden, weil man eine neue Verordnung für Krankengymnastik braucht.
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Reduzierung von hunderten Krankenkassen auf eine Hand voll würde viel Bürokratie und viele Managergehälter einsparen und mehr Gelder freimachen für die Versicherten. Auf geht's #lauterbach !
In anderen Ländern ist der Umzug in möblierte Wohnungen normal. Gerade bei Wohnungen mit teuren Einrichtungen/Einbauten sollte die möblierte Weitergabe möglich sein. Was ist das für eine Pseudo-Genossenschaft, die nichtmal eine Möbelbörse für Spezialmöbel gebacken kriegt?
Nicht allein Krankenkassen, es sind auch RV, Integrations-/Inklusionsämter, Versorgungsämter der BL gemeint, die ein Akt enormen Aufwands bedeuten. Oftmals haben Sachbearbeitende keine Wissensgrundlage in SchwerbG & SGB und gehen nach Vorgabe von oben sofort auf Ablehnung.
Wir MmB müssten Jurist*innen, ganzes Sekretariatsteam in einer Person sein, um das alles zu bewältigen, dies neben unserem Nachteilsausgleich(!), unserem eigentlichen Job wie Alltag und gar Familie!
@elomenelomina @axebos Haargenau. Als hätte man nicht eh schon viel weniger Zeit als alle anderen. Diese vielen Anträge und Widersprüche und Telefonate und Belege sammeln summieren sich zu einem Vollzeitjob auf. Und den macht man zusätzlich zu allem anderen.